Donnerstag, 23. Februar 2017

Geschichten im Hotel VII - mein Vorgänger

Diese Geschichte ist eher eine leise - aber sie hat mich so sehr beeindruckt, dass ich immerzu an sie denken muss. Man sagt ja leichthin - dass ich sie nie vergessen werde, aber da man so gut wie alles vergessen kann, vermeide ich diese Formulierung. Jedenfalls begann ich meine Arbeit am alten Schreibtisch meines Großvaters vor 10 Jahren. Ich habe erstmal ausgeräumt und Platz geschaffen. Eine Schachtel voller Schlüssel, die ich nicht zuordnen konnte leerte ich nebst anderem Müll in unsere Müllpresse. Mein Vater fragte mich am Nachmittag des selben Tages, wo ich denn den Safeschlüssel nun aufbewahrte - daraufhin kletterte ich zum ersten Mal in meinem Leben in die Müllpresse und ich hoffe es bleibt das letzte Mal. Durch pures Glück fand ich den Safeschlüssel und konnte ihn zurückbringen - in der Folge habe ich den Safe in meinem Büro abgeschafft und die wichtigen Dokumente an sichereren Orten untergebracht (unter anderem eine Einbayerungsurkunde meines Urgroßvaters - toll, oder?) Ich schweife ab...

Hinter besagtem Schreibtisch saß ich eines Tages vergnügt - oh, das muss ich noch erzählen: von meinem Schreibtisch aus kann ich über einen Spiegel auf die Hotelzufahrt blicken, gegenüber sehe ich im Nachbargebäude den Schreibtisch meines Vaters, ich höre das Telefon an der Rezeption und sehe ein Thermometer an der Hauswand gegenüber - Überwachung total quasi. Jedenfalls an diesem Schreibtisch sitzend höre ich ein stampfendes Geräusch von der Rezeption her. Meine Türe öffnete sich langsam und ein alter Mann mit Hakennase und dicker Brille kam auf zwei Stöcke gestützt mit schweren Schritten zu mir herein. Er blickte mich einige Sekunden durch seine Brille an, dann deutete er fuchtelnd mit einem seiner beiden Stöcke auf meinen Schreibtisch und sagte mit lauter Stimme: "Genau hier habe ich gesessen, genau an diesem Tisch!"
Er war der Verwaltungsleiter des Prinz-Luitpold-Bades, als es während des zweiten Weltkrieges als Reservelazarett genutzt wurde. Ein tiefer Einblick in eine mir so ferne, fremde Zeit. Ich bin froh, dass ich den Schreibtisch nur in Friedenszeiten nutzte. Mittlerweile ist er in ein anderes Büro gewandert, damit Platz für den wahren Kopf des Hotels neben mir im Büro entstehen konnte.

Viele, brave Gäste und ehemalige Verwaltungsleiter wünscht

Armin Gross

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